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136 Untätigkeitsklagen gegen die Stadt Ulrichstein beim VG Gießen eingereicht

06. Februar 2017 - Kommunalabgabenrecht

Mit Schriftsätzen vom 25. – 27.01.2017 hat die Kanzlei Eiding Rechtsanwälte durch die zuständigen Sachbearbeiter Prof. Dr. Lutz Eiding und Dr. Martin Faußner in insgesamt 136 Fällen Untätigkeitsklagen zum Verwaltungsgericht (VG) Gießen erhoben. Vorangegangen war eine entsprechende Abstimmung mit der Bürgerinitiative gegen Wasser- und Abwasserbescheide der Stadt Ulrichstein (BI), in der sich die betroffenen Anlieger organisiert haben.

Anlass für dieses Vorgehen ist ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel (VGH) vom 19.08.2015 (Az.: 5 A 1078//14). In diesem hat der VGH auf die Berufung des von der Kanzlei Eiding Rechtsanwälte vertretenen Muster-Klägers hin das erstinstanzliche Urteil des VG Gießen vom 19.09.2013 abgeändert, dabei den im konkreten Fall zu bewertenden Bescheid der Stadt Ulrichstein über die Vorausleistung von Wasserbeiträgen als rechtswidrig eingestuft und dementsprechend aufgehoben. Demgegenüber wurde die zugleich erhobene Berufung der Stadt Ulrichstein zurückgewiesen. Mit diesem Urteil fand ein annähernd sechs Jahre andauernder Rechtsstreit sein Ende.

In dem Urteil entschied der VGH Kassel, dass keine wirksame satzungsrechtliche Grundlage für den streitigen Vorausleistungsbescheid gegeben war. Dabei bekräftigt das Gericht die im Zulassungsbeschluss bereits dargestellte Auffassung, dass die beklagte Stadt Ulrichstein ihrer Darlegungslast für den Beleg der Tatsache, dass die in der Wasserversorgungssatzung festgelegten Geschossflächenzahlen die zulässige bauliche Ausnutzbarkeit im unbeplanten Satzungsgebiet im Wesentlichen wiederspiegeln, nicht nachgekommen wäre. Die von den Klägerbevollmächtigten Eiding Rechtsanwälte vorgelegte, von Mitarbeitern der BI erstellte Aufstellung von Konstellationen, die eine deutliche Unterschreitung der tatsächlichen Geschossflächenzahl von der satzungsrechtlich zugrunde gelegten Geschossflächenzahl darstellen, erwecke „begründete Zweifel“ an der Satzung, denen die Stadt Ulrichstein nicht mit Tatsachenvortrag entgegengetreten sei.

Ausgangspunkt für dieses Muster-Verfahren waren bereits im Oktober 2009 erlassene Bescheide über die Vorausleistung von Wasserbeiträgen (1. Rate). Diese betrafen Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen im Bereich der Stadt Ulrichstein. Gegen diese legten etliche betroffene Anwohner Widerspruch ein, allein unsere Kanzlei vertrat 181 Widerspruchsführer. Im Rahmen der Widerspruchsverfahren fertigten die zuständigen Sachbearbeiter Prof. Dr. Lutz Eiding und Dr. Martin Faußner Widerspruchsbegründungen in ausgewählten Muster-Widerspruchsverfahren an. Nachdem die Stadt Ulrichstein jedoch über einen Zeitraum von 15 Monaten, gerechnet ab Widerspruchseinlegung im November 2009, keine abschließende Entscheidung getroffen hatte, entschieden sich die in der BI organisierten betroffenen Anwohner auf Anregung der Anwälte im Januar 2011, in einem ausgewählten Muster-Verfahren Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zu erheben. Demgegenüber wurden alle anderen Widerspruchsverfahren im Hinblick auf das Muster-Verfahren einvernehmlich ausgesetzt. Entsprechend waren auch die Widerspruchsverfahren gegen die im September 2010 und Oktober 2011 ergangenen Bescheide über die Vorausleistung von Wasserbeiträgen (2. und 3. Rate) ausgesetzt.

Gegen das nach über 2,5 Jahren erstinstanzlich ergangene Urteil des VG Gießen vom 19.09.2013 legten sowohl die beklagte Stadt Ulrichstein als auch der Muster-Kläger das statthafte Rechtsmittel ein, den Antrag auf Zulassung der Berufung. Diesen Anträgen gab der zuständige 5. Senat des VGH Kassel im Beschluss vom 20.06.2014 statt, sodass es nach Durchführung des Berufungsverfahrens zu dem beschriebenen Urteil kam.

Trotz mehrfacher Anschreiben an die zuständigen Sachbearbeiter der Stadt Ulrichstein, darauf gerichtet, unter Hinweis auf das Urteil des VGH Kassel eine Rückerstattung der von den Anliegern bezahlten Vorausleistungen von Wasserbeiträgen nach Wiederaufnahme der Widerspruchsverfahren und Aufhebung der ergangenen Vorausleistungsbescheide zu erreichen, reagierte die Stadt nicht entsprechend. In den Antwortschreiben erfolgte dabei lediglich der Verweis auf eine „noch nicht abgeschlossene rechtliche Prüfung“ wie auch eine von der Stadt Ulrichstein beabsichtigte Neukalkulation der Wasserbeiträge. Dabei wurden sogar in Antwortschreiben zugesagte Rückmeldungen nicht vorgenommen. Mit diesen Ausführungen gaben sich die Anlieger nach Ablauf von annähernd 18 Monaten seit Ergehen des Urteils des VGH Kassel nicht mehr zufrieden, sodass sie der Empfehlung der zuständigen Anwälte, Prof. Dr. Eiding und Dr. Faußner folgten, Untätigkeitsklagen zu erheben.

Zu diesem Schritt erklärt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Faußner:

„Die Stadt Ulrichstein hat mit der von ihr praktizierten ´Hinhalte-Taktik´ den Sinn und Zweck des ursprünglich durchgeführten Muster-Verfahrens, das insgesamt annähernd sechs Jahre andauerte, konterkariert. Dies ist insbesondere in Anbetracht der langen Verfahrensdauer für die Anlieger höchst ärgerlich. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass die Stadt Ulrichstein dem ausgewählten Muster-Kläger sämtliche Vorausleistungen von Wasserbeiträgen zurückerstattet hat, obgleich sich das Muster-Verfahren lediglich auf den Vorausleistungsbescheid betreffend die erste Rate bezogen hat. Die Stadt Ulrichstein handelt demgemäß widersprüchlich und lässt ein dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechendes Vorgehen vermissen.“

Hierzu ergänzt Prof. Dr. Eiding:

„Es ist schon ein Trauerspiel, wenn wir vor Jahren in dem extra vereinbarten Muster-Verfahren für alle Widerspruchsführer schon gezwungen waren, eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt einzureichen und dies jetzt in den noch anhängigen 136 Widerspruchsverfahren erneut veranlassen mussten. Aber irgendwann ist das sprichwörtliche Fass nun einmal voll und dann müssen Maßnahmen ergriffen werden, welche zeigen, dass man es ernst meint. Die Stadt ist durch ihr Aussitzen statt der Lösung des Problems nun das Risiko eingegangen, Anwaltsvergütungen in fünfstelliger Höhe zahlen zu müssen, falls das VG Gießen die 136 Klagen in gleicher Weise entscheidet, wie das Muster-Klageverfahren vor dem VGH Kassel. Wir sind von daher gespannt, wie das VG die Verfahren führen wird.“

Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist nunmehr die Stadt Ulrichstein aufgefordert, Stellung zu beziehen. Im Hinblick auf das weitere gerichtliche Verfahren bleibt abzuwarten, ob die zuständige 2. Kammer des VG Gießen eine mündliche Verhandlung in Anbetracht des ergangenen Urteils des VGH Kassel vom 19.08.2015 für notwendig erachtet oder nicht.

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